DIESER DIABETIKER WARTET SEIT NOVEMBER AUF SEINE MEDIKAMENTE

Peter Pancur aus dem Landkreis Bautzen bangt um seine Gesundheit, denn seine Medikamente sind nicht lieferbar. Das betrifft Tausende Sachsen – und die Zahlen steigen.

Peter Pancur aus Seeligstadt hält seine beiden letzten Pens in der Hand. „Danach habe ich keine Diabetesmedikamente mehr“, sagt der 73-Jährige mit Sorge. Seit einigen Jahren spritzt er sich täglich das Präparat Victoza mit dem Wirkstoff Liraglutid. Dieser Wirkstoff reguliert nicht nur den Blutzucker, sondern verringert auch das Risiko für Nieren-, Herz- und Kreislauferkrankungen. Das ist wichtig für Peter Pancur, denn er leidet außerdem an Bluthochdruck und an Herzrhythmusstörungen. Zudem bremst das Mittel eine Gewichtszunahme, was sich günstig auf die Diabetesbehandlung auswirkt.

„Seit November warte ich aber auf meine Medikamente. Mein Arzt hat mir Ozempic – ein neueres Präparat – verordnet, das nur einmal pro Woche gespritzt werden muss. Doch auch das ist jetzt knapp“, so Peter Pancur.

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Hoher Blutzucker ist gefährlich

Zur Diabetesbehandlung stünden eigentlich viele gute Medikamente zur Verfügung. „Es gibt alternative Therapien. Eine Behandlung des Diabetes Typ 2 war auch schon lange Zeit vor der Entwicklung der aktuell knappen Medikamente möglich. Die Ozempic-Wochenspritze ist außerdem kein Allheilmittel für alle“, sagen die Diabetologinnen Kristin Kunath und Ulrike Fischer vom Klinikum Chemnitz. Diedarin enthaltenen neueren Wirkstoffe Dulaglutid (Trulicity) und Semaglutid (Ozempic) hätten gegenüber anderen Diabetesmitteln aber den großen Vorteil der Gewichtsabnahme. Denn sie hemmen den Appetit und verlangsamen die Magenentleerung. „Ohne diese Medikamente ist mehr Eigeninitiative der Patienten nötig, um ihr Gewicht zu halten“, so die Ärztinnen.

„Bei neu damit eingestellten Patienten können wir häufig zusehen, wie sie immer weniger Insulin brauchen und an Gewicht abnehmen. Das ist sehr segensreich“, sagen sie. Auch die Gefahr der Unterzuckerung besteht bei diesen Mitteln nicht, da die Bauchspeicheldrüse das Insulin nur bei Nahrungsaufnahme ausschüttet. Zurzeit müssten aber immer mehr Patienten mit schlechten Blutzuckerwerten stationär behandelt werden, die Lieferengpässe tragen mit dazu bei. „Die Patienten bitten uns, ob wir nicht die Diabetesspritze für sie hätten. Die Verzweiflung ist wirklich sehr groß“, sagen die Ärztinnen.

Denn ein unzureichend behandelter Diabetes kann schwere Folgen haben. Er schädigt die großen und kleinen Blutgefäße. Dadurch erhöht sich das Risiko von Folgeerkrankungen im ganzen Körper, zum Beispiel an den Augen, den Nieren und am Herz-Kreislauf-System.

Insulin hat auch Schattenseiten

Wenn die Therapie umgestellt werden muss, greifen Ärzte oft zu DPP 4-Hemmern. Die Tabletten hemmen ein Enzym, das die Insulinausschüttung bremst. Einen ebenfalls schützenden Effekt für das Herz-Kreislauf-System und die Nieren hätten die SGLT2-Hemmer, die Zucker aus dem Blut in den Urin leiten. „Doch der Blutzucker lässt sich damit nicht so gut senken wie mit der Ozempic-Wochenspritze“, so die Diabetologinnen. Eventuell müsse zusätzlich Insulin gegeben werden, was häufig das Körpergewicht wieder erhöhe. Auch die Gefahr der Unterzuckerung steige. Typ 2-Diabetiker leiden zudem oft an einer Insulinresistenz. „Dabei produziert die Bauchspeicheldrüse immer mehr Insulin, doch die Körperzellen können es nicht mehr verarbeiten“, erklären sie. Das Problem verstärke sich bei Insulinbehandlung.

Stamm-Apotheke als Lichtblick

Den Lieferengpass bekommen auch die Apotheken in Sachsen zu spüren. „Wir haben lange Wartelisten und können nur wenigen Patienten helfen“, sagt Göran Donner, Präsident der Landesapothekerkammer Sachsen. „Die Patienten schimpfen, was für uns völlig verständlich ist. Doch wir selbst können die Medikamente nicht herbeischaffen“, sagt er.

Etwas besser sei die Situation für Patienten, die eine Stamm-Apotheke haben. Dort wisse man, wann die Medikamente wieder benötigt würden und könnte schon Wochen vorher versuchen, Nachschub zu bekommen, erklärt er. Doch normal sei das nicht, und die Diabetesmedikamente auch kein Einzelfall. Viele Medikamentengruppen stünden mittlerweile auf der Engpass-Liste, zum Beispiel Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Psychopharmaka oder Krebsmedikamente. „Es kann nicht sein, dass benötigte Medikamente einfach nicht da sind“, so der Apothekerpräsident. Der Staat müsse sich darüber Gedanken machen, wie das weitergehen soll.

Hersteller erweitert Kapazitäten

Die dänische Firma Novo Nordisk, die derzeit als einziges Unternehmen Medikamente mit den neuen Wirkstoffen herstellt, hat bereits etwas unternommen. „Die Nachfrage ist weltweit sehr stark gestiegen“, sagt die Sprecherin Lena Klersy. Das Unternehmen komme an seine Grenzen. Zudem nutzten viele Menschen die Medikamente missbräuchlich allein zur Gewichtsreduktion. Deutschland sei ein wichtiger Markt für das Unternehmen. „Noch in diesem Jahr werden wir uns darauf fokussieren, neue Therapieoptionen zu entwickeln und unsere Produktionskapazitäten zu erweitern“, so Lena Klersy. An den Produktionsstandorten arbeite man bereits rund um die Uhr. Im letzten Jahr wurden 50 Prozent mehr Ozempic-Pens ausgeliefert als 2022. Doch es fehle auch am Rohmaterial, zum Beispiel an den Pens, die mit den Wirkstoffen befüllt werden. Dort kämen die Hersteller ebenso wenig nach.

Auch Peter Pancur weiß nicht, wie seine Behandlung weitergeht, ob er vielleicht auf Insulin umgestellt werden muss. Der Medikamentenengpass macht ihm Angst.

Erkrankungszahlen steigen weiter

Hinzu kommt, dass die Zahl der Diabeteskranken in Zukunft noch weiter steigt. Einer aktuellen Untersuchung der Deutschen Diabetesgesellschaft zufolge hatten 20 Prozent der Erwachsenen bereits einen Prädiabetes, also erhöhte Blutzuckerwerte und eine beginnende Insulinresistenz. Wer davon weiß, kann in vielen Fällen durch einen gesünderen Lebensstil den Ausbruch eines Diabetes noch verhindern oder hinauszögern.

Deshalb macht sich die Diabetesgesellschaft für vorbeugende Tests bei Erwachsenen stark, die derzeit noch selbst bezahlt werden müssen. Auch für die Chemnitzer Diabetologinnen liegt der einzige Ausweg darin, Diabetes und Übergewicht zu verhindern. „Bewegung und gesunde, maßvolle Ernährung sind die Stellschrauben“, sagen sie. Der Mensch habe so viele Muskeln, aber welche benutze man wirklich?

Peter Pancur ist da wahrscheinlich nicht der Regelfall. Er ist jeden Tag viel zu Fuß unterwegs, treibt Sport, hat sich sogar einen Fitnessraum eingerichtet. Sein Gewicht liegt im Normalbereich. „Zum Glück mag ich nicht so gern Süßes. Ich liebe Gemüse“, sagt er. „Da fällt mir der Verzicht nicht so schwer.“

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