WIE DER RüCKGANG EINES VOGELS ZUM TOD VON 500.000 MENSCHEN FüHRTE

Wir Menschen leben in einem empfindlichen Gleichgewicht mit der Natur. Dabei sind wir von einer vitalen Biodiversität abhängig. Also von einer Vielfalt der Arten, der Gene und der Ökosysteme.

Kränkelt eine Art oder stirbt sie gar aus, kann das weitreichende Folgen auf verschiedenen Ebenen haben. Würden beispielsweise Bienen aussterben, wäre das auch das Ende vieler Pflanzenarten. Denn ohne die Bienen fehlt die Bestäubung, die für die Verbreitung von Pflanzen wichtig ist.

Eine halbe Million tote Menschen in fünf Jahren

Die Auswirkungen eines solches Ungleichgewichts in Indien wurden nun von einem Forscher:innen-Team untersucht. Denn dort ist der Bestand der sogenannten Indiengeier deutlich zurückgegangen – mit fatalen Folgen für die Menschen.

Ursprünglich war der Geier ein weit verbreiteter Vogel in Indien. Die Aasfresser suchten in Mülldeponien nach Viehkadavern, fraßen diese und kümmerten sich so um eine natürliche Entsorgung. Doch vor mehr als zwei Jahrzehnten begann das Geiersterben in Indien aufgrund eines Medikaments, das zur Behandlung kranker Kühe eingesetzt wurde.

Vögel, die sich von den Kadavern der mit dem Medikament behandelten Tiere ernährten, starben anschließend an Nierenversagen. Mitte der 1990er Jahre war die Geierpopulation von etwa 50 Millionen Vögeln auf nahezu Null gesunken.

Durch die unbeabsichtigte Dezimierung dieser aasfressenden Vögel konnten sich tödliche Bakterien und Infektionen ausbreiten, denn nun wurden Tierkadaver nicht mehr durch die Geier entsorgt.

Stattdessen kamen dafür Tiere wie Hunde oder Katzen zuerst mit den Kadavern und dann mit Menschen in Kontakt und konnten diesen die Krankheiten übertragen. Auch sind große Mülldeponien in Indien meist mitten in der Stadt und die Menschen, die dort arbeiten, nicht ausreichend durch Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel vor der Übertragung geschützt.

Innerhalb von nur fünf Jahren führten diese Umstände zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate von 4,7 Prozent, und damit zum Tod von etwa einer halben Million Menschen. Das berichtet eine Studie, durchgeführt von zwei Forschern der University of Chicago und der University of Warwick.

Geier sind "Sanitätsdienst der Natur"

"Geier gelten als Sanitätsdienst der Natur, da sie eine wichtige Rolle bei der Beseitigung toter Tiere spielen, die Bakterien und Krankheitserreger in unserer Umwelt enthalten – ohne sie können sich Krankheiten ausbreiten", sagt ein Verfasser der Studie, Eyal Frank. Weiter führt er aus:

"Das Verständnis der Rolle, die Geier für die menschliche Gesundheit spielen, unterstreicht die Bedeutung des Schutzes von Wildtieren, und zwar nicht nur der niedlichen und knuddeligen. Sie alle haben in unseren Ökosystemen eine Aufgabe zu erfüllen, die sich auf unser Leben auswirkt".

Bei der Viehzählung 2019 wurden in Indien mehr als 500 Millionen Tiere gezählt, die höchste Zahl der Welt. Geier sind hocheffiziente Aasfresser, auf die sich Landwirt:innen in der Vergangenheit verließen, um Viehkadaver schnell zu beseitigen. Mit ihrem plötzlichen Verschwinden hinterließen sie also ein offensichtliches Problem.

Der Rückgang der Geier in Indien ist der schnellste, der je für eine Vogelart verzeichnet wurde. Auch ist er der größte seit dem Aussterben der Brieftaube in den USA, ordnen die Forscher die Situation ein.

Indiengeier sind weiteren Schwierigkeiten ausgesetzt

Die verbleibenden Geierpopulationen Indiens konzentrieren sich jetzt auf Schutzgebiete, in denen ihre Nahrung eher aus toten Wildtieren als aus potenziell verseuchtem Vieh besteht, so der Bericht "State of Indian Birds".

Die Experten warnen, dass Tierarzneimittel nach wie vor eine große Gefahr für Geier darstellen. Da Kadaver zunehmend vergraben werden und verwilderte Hunde es ebenfalls auf diese abgesehen haben, verschärft sich das Futterproblem für die Indiengeier.

Meldung

Steinbrüche und Bergbau können Nistplätze für einige Geierarten zerstören und ihr Überleben weiter gefährden. Aufgrund ihrer wichtigen Aufgabe sollten die Vögel jedoch stärker geschützt und ein Wiederaufbau der Population möglich gemacht werden.

Die Studie zeigt, welche ungeahnten Folgen Artensterben mit sich bringt – und warum es wichtig ist, um den Erhalt jeder Tier- und Pflanzenart zu kämpfen.

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