LONGEVITY: DAS GESCHäFT MIT DEM EWIGEN LEBEN

Allison Duettmann hat schon als Kind viel über das Sterben nachgedacht. Genauer gesagt über die Frage, wie sie dem Tod entkommen könnte. Ihr fiel es schwer einzuschlafen, weil ihr schlafen so vorkam wie sterben. Ihre Eltern schickten sie zu einem Psychologen, weil sie fürchteten, sie könnte unter einer Depression leiden – irrigerweise, wie die gebürtige Hamburgerin heute rückblickend sagt: „Ich war sehr glücklich. Ich liebe das Leben, und ich will eben nicht, dass es aufhört.“ Sie las viel über mögliche Methoden zur Lebensverlängerung und machte diese Materie auch zu ihrem Beruf. Heute, mit 32 Jahren, führt sie das Foresight Institute in San Francisco, eine Forschungsorganisation, die sich mit verschiedenen Zukunftsgebieten beschäftigt, und dazu gehört auch Langlebigkeit. Das erklärte Ziel ist es dabei, das Altern rückgängig zu machen und die Zahl der gesunden Lebensjahre von Menschen zu verlängern.

Für sich persönlich greift Duettmann zu extremen Mitteln, um ihre Chancen auf mehr Lebenszeit zu erhöhen. Sie will sich nach ihrem Tod kryokonservieren lassen, in der Hoffnung, dass sie eines Tages wiederbelebt werden kann. Dabei wird der Körper unter sehr niedrigen Temperaturen gewissermaßen zum Stillstand gebracht, und er soll so lange gelagert werden, bis eine Wiederbelebung und auch eine Behandlung einer Todesursache technisch machbar sind. Ob das funktionieren kann, ist heute ungewiss, und es dürfte noch weit in der Zukunft liegen, aber Duettmann hat schon einen entsprechenden Vertrag mit dem Berliner Unternehmen Tomorrow Bio abgeschlossen, das eine solche Kryokonservierung anbietet. Dessen Vision lautet: „Wir wollen eine Welt schaffen, in der die Menschen selbst entscheiden können, wie lange sie leben wollen.“

Seit jeher ist es ein Traum von Menschen, dem Tod und dem Altern die Unvermeidlichkeit zu nehmen. Mehr und mehr wird daraus auch eine Industrie. Es gibt eine wachsende Start-up-Szene, die sich mit Langlebigkeit befasst. Duettmann hat in ihrem Foresight Institute kürzlich einen Workshop mit Beschäftigten solcher ­Longevi­ty-Spezialisten veranstaltet.

Einige der prominentesten Vertreter der Technologiebranche engagieren sich hier finanziell. Sam Altman, Vorstandsvorsitzender des ChatGPT-Entwicklers Open AI, hat 180 Millionen Dollar in Retro Biosciences investiert, ein Unternehmen, das die gesunde Lebenszeit von Menschen um zehn Jahre verlängern will. Amazon-Gründer Jeff Bezos ist unter den Geldgebern von Altos Labs, einem der bekanntesten Longevity-Start-ups, das an Methoden zur Zellverjüngung arbeitet. Der deutschstämmige Investor Peter Thiel hat die Me­thuselah Foundation unterstützt, eine nicht gewinnorientierte Organisation, die das Ziel ausgegeben hat, „90 zu den neuen 50“ zu machen, und das schon bis 2030. So wie Duettmann will sich auch Thiel kryokonservieren lassen. Der Internetkonzern Google hat schon 2013 die Tochtergesellschaft Calico gegründet, die sich vornimmt, das Altern zu bremsen.

Langlebigkeitsforschung in einschneidendem Moment

Eric Verdin hat bei der Gründung einiger Start-ups mitgewirkt. Er ist Vorstandschef des Buck Institute in der Nähe von San Francisco, der nach eigener Aussage einzigen Forschungseinrichtung in der Welt, die auf die Biologie des Alterns spezialisiert ist. Ihre Arbeit ist darauf ausgerichtet, dass Menschen ihr Leben einmal mit 95 Jahren genauso genießen können wie mit 25 Jahren. Sie betreibt Grundlagenforschung, versteht sich aber auch als Inkubator für Start-ups. Ihre Projekte führen oft zur Gründung von Unternehmen, die dann als unabhängige Gesellschaften abgespalten werden, wenn sie ein gewisses Stadium erreichen. Buck behält einen Anteil von zehn bis 20 Prozent. Eines dieser Unternehmen, Unity Biotechnology, ist mittlerweile an der Börse notiert. Buck kooperiert auch mit großen Pharmaunternehmen.

Verdin sagt, die Langlebigkeitsforschung befinde sich gerade in einem einschneidenden Moment. Sie verfüge mittlerweile über die notwendigen Informationen, damit Menschen 95 Jahre alt werden können, ohne davor lange krank zu sein. Diese Erkenntnisse seien aber noch nicht in Medikamente übersetzt worden, die ihre Wirksamkeit demonstriert hätten, daher stecke das Gebiet der Langlebigkeit noch immer „in den Kinderschuhen“. Verdin zeigt sich aber zuversichtlich, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren Arzneimittel auf den Markt kommen, die den Alterungsprozess bremsen können. Und dann sollte es auch möglich sein, bei guter Gesundheit 95 Jahre alt werden zu können. Als nächste Zielmarke sieht Verdin 115 Jahre. Auch das sei „noch nicht verrückt“ und womöglich in zehn bis zwanzig Jahren erreichbar.

Umso mehr rät Verdin zu einem gesunden Lebenswandel mit Blick auf Ernährung und körperliche Aktivität, um sich in guter Verfassung zu halten, bis solche Therapien verfügbar seien. Heute werde es im Durchschnitt noch zu mehr als 90 Prozent von Faktoren wie Ernährung oder körperlicher Aktivität bestimmt, ob man lange lebt, und nur zu einem sehr kleinen Teil von den Genen.

Der Investor Karl Pfleger aus San Francisco schätzt, dass es heute mehr als 400 Start-ups auf der ganzen Welt gibt, deren Schwerpunkt auf Langlebigkeit liegt, und er hat sich selbst bei rund 30 von ihnen beteiligt. Er sagt, das Feld sei in den vergangenen Jahren „sehr dramatisch“ gewachsen, 2020 seien es erst um die 150 Unternehmen gewesen. Die Start-ups hätten zusammengerechnet bislang fast 15 Milliarden Dollar von Investoren eingesammelt. Pfleger betreibt eine Internetseite, auf der er all diese Unternehmen auflistet, auch danach, in welchem Stadium sie sich befinden. Er sagt, bislang habe zwar keines von ihnen marktreife Produkte, die von Gesundheitsbehörden freigegeben sind, aber damit sei in zwei bis fünf Jahren zu rechnen, zumal einige in vorangeschrittenen Phasen klinischer Tests seien. Und aus manchen dieser Start-ups könnten einmal Unternehmen mit Milliardenumsätzen werden, zum Beispiel „so etwas wie das nächste Biontech“.

Isoliert, aufgereinigt, eingefroren, aufgetaut

Ein solches werden würde sicher gern auch Cellvie. Das Biotechnologieunternehmen aus Zürich hat seinen Ursprung an der Harvard Medical School und spezialisiert sich auf Mitochondrien-Transplantation. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen und essenziell für ihre Funktion. Schaden Krankheit oder Alterung den Mitochondrien, leidet die Zellfunktion, und es kommt zum Zelltod.

In diese Verkettung will Cellvie eingreifen, sagt der deutsche Mitgründer Alexander Schueller. Dazu entwickelt das Start-up Mitochondrien selbst als Therapie, die perspektivisch auch bei altersbedingten degenerativen Erkrankungen wie Muskelschwund, Parkinson und Hörverlust helfen könnten. Die Mitochondrien werden aus menschlichen Zellen isoliert, aufgereinigt, eingefroren und zur Anwendung aufgetaut. In einer pharmazeutischen Lösung verabreicht man sie per Spritze oder Katheter an die geschädigte Stelle. Dort reaktivieren sie das Energienetzwerk und unterbrochene Prozesse, um die Zelle so wieder in ihren Normalzustand zu versetzen und damit den Zelltod abzuwenden.

Dass ihre Therapie mehr nach Medizin als nach Science-Fiction klingt, liegt daran, dass Cellvie seinen Ursprung fern der Langlebigkeit und Verjüngungsmedizin hat, bei Schäden, die durch Organtransplantationen oder Herzinfarkte entstehen – Ischämie- und Reperfusionsschäden. Darunter versteht man einen Krankheitsprozess, der durch Wiederherstellung der Durchblutung nach mehr oder weniger langer Mangeldurchblutung einer Extremität oder eines Organs entsteht.

Auf den Pfad der Verjüngungsmedizin brachte Cellvie erst Michael Greve. Seit Ende 2020 gehört Cellvie zu dessen Investment-Universum. Einst mit dem Internetportal Web.de und den Reiseportalen Lastminute.de und Flug.de reich geworden, zählt der deutsche Millionär heute zu den bestvernetzten Investoren der noch überschaubaren Longevity-Szene in Europa. Diese bezifferte Greve selbst kürzlich auf 40 führende Start-ups und zwei Handvoll Wagniskapitalgesellschaften.

Greves Fokus liegt auf Verjüngungsmedizin

Eines davon ist das Berliner Unternehmen Cellbricks, das Implantate aus echten Zellen per 3-D-Druck herstellen will – angefangen bei Brustgewebe, künftig sollen aber auch Organe wie Niere, Leber und Ersatzbauchspeicheldrüse hinzukommen. Noch hat Greve hier nicht investiert.

Über seine Beteiligungsgesellschaft Kizoo, die mit 300 Millionen Euro aus seinem Privatvermögen ausgestattet ist, fördert Greve wissenschaftliche Erfolge im Kampf gegen das Altern. Sein Fokus liegt dabei auf der Verjüngungsmedizin, deren Ziel es ist, alle altersbedingten Krankheiten zu vermeiden und zu heilen, indem man ihre Ursache, das Altern, bekämpft. Greve ist überzeugt, dass die Verjüngungstherapien einen ähnlichen Durchbruch erleben werden wie die Künstliche Intelligenz mit ChatGPT – sobald die ersten Therapien auf dem Markt sind.

Wie Cellvie haben alle der bislang 15 Kizoo-Beteiligungen die Entwicklung eines Medikaments zum Ziel. Und alle, so Schueller, haben ihre erste Anwendung in anderen medizinischen Bereichen als der Langlebigkeit. Das Portfolio-Unternehmen Cyclarity entwickelt etwa eine Therapie gegen die Ursache von Schlaganfällen und Herzinfarkten: arterielle Plaques, die im Alter zunehmen und im schlimmsten Fall die Arterien verstopfen. Der Wirkstoff von Cyclarity soll sie entfernen und so die Blutgefäße verjüngen.

Um möglichst schnell und kostengünstig klinische Studien am Menschen durchführen zu können, die zur Zulassung eines marktreifen Produkts führen, wählen die Start-ups zunächst andere Anwendungen. Cellvie konzentriert sich beispielsweise auf den Einsatz bei Nierentransplantationen. Einen ersten Prototyp gibt es schon. Der erste Patient soll 2026 oder 2027 in dieser Indikation behandelt werden. Eine Zulassung im Jahr 2030 hält Schueller nicht für unrealistisch und ist zuversichtlich, eine „Blockbuster-Therapie“ entwickelt zu haben. Darunter versteht man in der Pharmaindustrie Produkte mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar. Doch noch steht Cellvie vor der klinischen Erprobung am Menschen. Die Ausweitung der Behandlung auf degenerative Krankheiten ist die Vision von Cellvie.

Die Suche nach den „Low-Hanging-Fruits“

Die gesunde Lebenszeit der Menschen verlängern will auch das Schweizer Unternehmen Maximon. Anders als Greve, mit dem die Gründer gut befreundet sind, investiert dieses aber nicht in das Hochrisikofeld der Longevity-Medikamente, deren Anwendung erst in der fernen Zukunft liegt. „Wir sind eher auf der Suche nach den Low-Hanging Fruits“, sagt Mitgründer Marc P. Bernegger – also Produkte und Dienstleistungen, die zum Greifen nah sind und nicht erst in zehn bis 15 Jahren marktreif werden.

Maximon baut dazu einzelne Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette der Langlebigkeit auf, die substanzielle Umsätze erzielen sollen. Fünf Unternehmen sind daraus seit der Gründung im Jahr 2020 entstanden, acht bis zehn könnten es insgesamt werden. Jede bekommt bis zu zehn Millionen Franken zur Verfügung gestellt. Das Geld kommt zum Teil von den Maximon-Gründern selbst (10 Millionen Franken), zum Teil aus Fremdkapital (gut 20 Millionen Franken) von Gutbetuchten im deutschsprachigen Raum.

Bernegger hat sich früh mit dem Internet und dem Bitcoin beschäftigt. Nun hat er sich Longevity verschrieben. Ein Biohacker ist Bernegger aber nicht. Damit sind jene in der Szene gemeint, die ihren Körper auf maximale Leistungsfähigkeit und Gesundheit trimmen und dafür auch ex­treme Schritte gehen. Ein prominentes Beispiel ist der amerikanische Longevity-Influencer Bryan Johnson, der zwei Millionen Dollar im Jahr nur für die Optimierung seines Körpers ausgibt und seine Verjüngungsversuche auf sozialen Medien teilt. Neben der täglichen Einnahme einer Vielzahl von Tabletten setzt Johnson auf viel Sport, strenges Intervallfasten und ließ sich auch schon Blutplasma seines Sohnes spritzen. So weit würde Bernegger selbst nicht gehen, aber auch er glaubt, dass man mit verhältnismäßig überschaubaren Optimierungen und Aufwand einen großen Effekt auf die eigene Gesundheit hat, und sieht in diesem Bereich als Unternehmer eine wachsende Abnehmerschaft.

Zielgruppe der Maximon-Aktivitäten ist daher der Massenmarkt, dem sie neue Technologien, die bisher nur sehr Vermögenden vorbehalten sind, zugänglich machen wollen. Damit investiert die Gesellschaft nur in Produkte und Dienstleistungen, die anwendbar sind, womit sich viel im Lifestylebereich bewegt. Etwa mit Avea, einem Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, der inzwischen zwei Millionen Franken Umsatz im Monat macht. Bei der Auswahl der Produkte und Dienstleistungen lassen sich die Gründer nach eigenen Aussagen von führenden Wissenschaftlern beraten.

Das Unternehmen hat eine erste Longev­ity-Klinik namens Ayun in Zürich kürzlich eröffnet. Daraus soll einmal ein Netzwerk an Kliniken entstehen. Die Behandlungen richten sich aufgrund der Preise kaum an jeden. Die Kostenspanne reicht von 3300 Franken (fast 3500 Euro) für den „Longev­ity-Check“ inklusive einer einjährigen Mitgliedschaft bis hin zu einer zwölfmonatigen „erweiterten Mitgliedschaft“ für 9300 Franken (fast 9800 Euro). Die Mitgliedschaft ohne Check, die Zugang zu den Behandlungen eröffnet, kostet für den gleichen Zeitraum 890 Franken.

„Aber wenn man sich begraben lässt, dann sind es null Prozent“

Bernegger selbst hat sich auch schon in der Klinik durchchecken lassen. Der 45 Jahre alte Unternehmer kommt nach eigener Aussage auf ein biologisches Alter von 39. Und das, obwohl er gar nicht so streng nach den Regeln der Longevity-Anhänger lebt. Sein Geschäftspartner will 120 Jahre alt werden. Bernegger ist da pragmatischer und nennt keine absolute Zahl – Hauptsache, so lange wie möglich gesund und in einem lebenswerten Zustand.

Wie Michael Greve, der die Forever Heal­thy Foundation gegründet hat, führen die Maximon-Gründer vermögende Investoren, Forscher und Unternehmen zusammen, um die Entwicklungen auf dem Feld der Langlebigkeit voranzubringen und mehr Kapital für die noch junge Industrie zu gewinnen. Eine Investorenkonferenz haben sie dafür vor fünf Jahren ins Leben gerufen, auf der im September Eric Verdin vom Buck Institute, der Altersforscher David A. Sinclair von der Harvard Medical School und auch Biohacker Johnson sprechen werden. Es brauche die richtige Mischung aus Hardcoreforschern und den Leuten, die mit ihren Ansätzen etwas mehr polarisieren, um das Potential der Branche aufzuzeigen, sagt Bernegger.

Allison Duettmann sieht Kryokonservierung als Weg, um den Tod zu überlisten. Sie sagt, sie könne sich „absolut nicht“ vorstellen, einmal begraben oder auch eingeäschert zu werden, das wäre ja eine „Verschwendung“. Sie hat auch ihren Vater und ihre Schwester bei Tomorrow Bio angemeldet. Das Unternehmen verspricht eine „unbefristete Langzeitlagerung“ und sagt, das könnten 50, 75, 100 oder noch mehr Jahre sein. Die Kunden sollen möglichst schnell nach ihrem Tod von einem Bereitschaftsteam mit einer Art Krankenwagen abgeholt werden, der ausgerüstet ist, um sofort mit der Konservierung zu beginnen. Die Körper werden dann in einem Gebäude in der Schweiz in Stahltanks gelagert.

Um für die Dienste von Tomorrow Bio zu bezahlen, schließen Kunden üblicherweise eine Lebensversicherung mit einer Deckungssumme von 200.000 Euro ab, außerdem ist ein monatlicher Mitgliedsbeitrag von 50 Euro fällig. Duettmann gibt zu, sie schätze aus heutiger technischer Sicht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Wiederbelebung funktioniert, als nicht sonderlich hoch ein. „Aber wenn man sich begraben lässt, dann sind es null Prozent“, sagt sie.

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