FERIENPSYCHOLOGIE: DIE SECHS SäULEN DER URLAUBSERHOLUNG: WAS DIE FORSCHUNG üBER IDEALE FERIEN WEIß

Die meisten Menschen hegen gegenüber der Ferienzeit große Erwartungen hinsichtlich Erholung und beglückenden Erfahrungen. Doch auf welchen Säulen ruhen aus Sicht der Stressforschung ein erfüllender Urlaub und erholsame Ferien? 

"Augenblick, verweile doch, du bist so schön!" Viele Menschen mögen ähnlich denken wie der Dichter Johann Wolfgang von Goethe, wenn der Urlaubsmoment gerade perfekt erscheint, wenn sie das Feriengefühl einfach nur in Dosen abfüllen und konservieren möchten und die Rückkehr in den Alltag wenig verlockend erscheint. Doch Urlaub kann ein Mensch nach Erkenntnissen der Stressforschung und Arbeitspsychologie gar nicht auf Vorrat machen, er benötigt immer wieder kleine Auszeiten und Pausen, Miniurlaube also, um seine Batterien im Alltag aufzuladen. 

Dies haben Studien wie die Framingham-Herz-Studie gezeigt. Eine Teilstudie dieser US-Langzeitstudie zur Herzgesundheit von Frauen ergab beispielsweise, dass Frauen, die längere Zeit keine Pause in Form von Urlaub genommen hatten, ein gesteigertes Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden aufwiesen im Vergleich zu Urlauberinnen. Urlaubsreife erkennen die meisten Menschen übrigens gut: Spätestens, wenn Gedanken auch in der Freizeit und an Wochenenden um die Arbeit kreisen, zeigt dies aus Sicht der Stressforschung an, dass eine längere Pause benötigt wird. 

Doch auch wenn der Urlaub startet, gelingt es vielen nicht, sich zu entspannen und am Urlaubsort abzuschalten. Einige plagen sich mit Gedanken an ihren Beruf, andere stressen sich mit Idealvorstellungen, möglichst viel aus der kostbaren Zeit herauszupressen. Stressforschende und Arbeitspsychologen haben mittlerweile in einem Modell formuliert, auf welchen sechs Säulen ideale Freizeiterholung basiert – und mit welcher Haltung ein Urlaub viele Ressourcen in Menschen zu wecken vermag und ein hohes Stresslevel dem Gefühl von Erholung zu weichen beginnt. 

Die sechs Faktoren für eine solche Auszeit, sei es auf Reisen oder als Auszeit zu Hause, hat eine Studie renommierter Vertreter der Positiven Psychologie formuliert, bei der zahlreiche Einzelstudien und Artikel herangezogen und ausgewertet wurden. Auf diese Weise entstand das DRAMMA-Modell der Erholung, das sechs Säulen für Freizeiterholung formuliert: Gedankenfreiheit, Entspannung, Selbstbestimmung, Herausforderung, Sinn und Verbundenheit. Aus diesen sechs Faktoren speist sich aus Sicht von Arbeitspsychologen und Stressforschenden auch nachhaltige Urlaubserholung, gewissermaßen liefert das Modell das Rezept für gute Ferien. 

Säule 1: Gedankenfreiheit 

Viele kennen das Gefühl zu Urlaubsbeginn, partout nicht abschalten zu können. "Ganz normal", urteilt der Gesundheitspsychologe Dr. Dirk Lehr von der Leuphana Universität Lüneburg, der eine App zur Urlaubserholung mitentwickelt hat, die auf den Ergebnissen des DRAMMA-Modells basiert. "Unser Gehirn ist kein Lichtschalter. Es sollte kein Leistungsdruck entstehen, dass man auf Knopfdruck abschaltet." Allerdings gibt es ein paar Tricks, um die Gedanken an unabgeschlossene Projekte in der Firma oder die Übergabe an die Kollegen, die gerade in den ersten Ferientagen bei vielen durch den Kopf wandern, loszulassen. 

Die Arbeitspsychologin Prof. Christine Syrek von der Universität Trier empfiehlt dazu beispielsweise, sich Projektstände vor Abreise genau aufzuschreiben und einen Plan zu notieren, mit welchen Schritten es nach dem Urlaub damit weitergehen soll. Dies helfe, die unerledigten Aufgaben mental wie in einer Schachtel wegzuschließen und für die Zeit der Ferien loszulassen. Denn entscheidend für erholsame Ferien ist, dass es gelingt, die Arbeit mental fernzuhalten, nicht an anstehende Themen im Beruf zu denken. In besonders hartnäckigen Fällen hilft ein Ritual, definierte Zeitfenster für solche Grübeleien festzulegen. 

Säule 2: Entspannung 

Entspannung hilft Menschen nach Definition der Arbeitspsychologie, Energieverlust zu stoppen und eingebüßte Kräfte zu erneuern. Die Urlaubs- und Stressforschung spricht in diesem Fall von "Prävention". Menschen entspannen besonders effektiv bei Tätigkeiten, die sich von ihrer beruflichen Aufgabe unterscheiden. Schreibtischarbeitende bei Bewegung und Aktivität im Freien, ein handwerklich Arbeitender bei gedanklich inspirierenden Tätigkeiten. Die Effort-Recovery-Theorie dahinter besagt, dass Urlaubende sich erholen, wenn sie andere funktionale Systeme nutzen als bei ihrer normalen Arbeitstätigkeit. Kurz, sie entspannen, wenn sie in den Ferien möglichst den Kontrast zum beruflichen Arbeitsfeld erleben. Ein Mediziner mit viel Patientenkontakt erholt sich womöglich besser bei einem einsamen Besuch in den Bergen, ein Sachbearbeiter mit wenig Kontakt sucht im Urlaub vielleicht eher ein Gruppengefühl, womöglich bei Aktivitäten im Club. Syrek: "Wir machen uns das selten bewusst: In der Freizeit profitieren wir nicht, wenn wir noch mehr desselben tun, was wir im Berufsalltag tun. Wir tanken auf, indem wir andere Ressourcen nutzen." Vorsicht sei generell geboten bei Bildern in den sozialen Medien, die suggerieren, wobei sich alle Menschen angeblich erholen. Zielführender sei es, sich zu fragen: "Was ist erholsam für mich?" 

Erholung speist sich jedoch nicht nur aus Momenten der Entspannung und daraus, dass Menschen ausreichend abschalten. Im Gegenteil: Im Urlaub kommt es nach dem DRAMMA-Modell zudem auf kleine Herausforderungen und bestandene Challenges an, um eine Auszeit besonders erfüllend zu machen. Experten sprechen in diesem Fall von Promotion, also erhebenden und stimulierenden Momenten. Diese sind in den Säulen der Selbstbestimmung, vor allem aber in der Säule "Herausforderung" im Modell repräsentiert. 

Säule 3: Selbstbestimmung 

Freizeit wird durchgehend erholsamer als der Alltag wahrgenommen, da reichere Möglichkeiten bestehen, in diesen Tagen selbstbestimmt und frei zu agieren, wodurch das Stresslevel sinkt. "Wer sind Sie, wenn Sie niemand verpflichtet, wenn Sie nicht um Punkt neun Uhr zum Morgenmeeting erscheinen müssen?" "Worauf haben Sie Lust und in welchem Tagesrhythmus?" Die Psychologie lehrt, dass selbstbestimmtes Handeln generell als wohltuender empfunden wird als Fremdbestimmung und mit höherer Zufriedenheit korreliert. Bei Gruppen- oder Familienurlauben empfiehlt es sich deswegen, auf individuelle Vorlieben bei der Tagesplanung zu achten – und sich auf verschiedene Tagespläne zu einigen, um sich abends das Erlebte zu berichten. Der eine bleibt womöglich am Meer, gräbt die Füße in den warmen Sand, blickt stundenlang auf das azurblaue Wasser, tut nichts und erlebt einen schönen Tag, während die Begleitung historische Altstädte in Italien studiert, etwas über Architektur und Stadtgeschichte im Reiseführer liest, jede Kirche anschaut und feinziselierte Vergleiche und Beobachtungen mitbringt. Lassen Sie Mitreisende ihr Ding machen, und tauschen Sie sich später beim gemeinsamen Abendessen über die Erlebnisse aus, so bereichert das beide Seiten um neue Perspektiven: Autonomie zu fördern führt Psychologen zufolge ohnehin zu größerer Verbundenheit. 

Säule 4: Herausforderung 

Keineswegs sind Ferien besonders entspannend, in denen Urlaubende die gesamte Ferienzeit nur passiv auf der Strandmatte verbringen und sich "erholen". Menschen profitieren davon, sich im Urlaub "als kompetent" und etwas Stress außerhalb der Komfortzone zu erleben, indem sie kleine Herausforderungen meistern und ihren Geist fordern. Forscherin Syrek erklärt dieses Ferien-Paradoxon: "Wir wollen in den Ferien abschalten durch gedankliche Ruhe von der Arbeit, uns durch geringe Beanspruchung entspannen, wie etwa bei der Lektüre eines Buches oder beim Spazierengehen. Zugleich profitieren wir, wenn wir wohldosierte Herausforderungen meistern und den eigenen Geist anregen." Ideen für kleine Herausforderungen im Urlaub bieten sich nahezu an jeder Ecke, so lässt sich etwa eine neue Sportart ausprobieren, in die Landesküche eintauchen, ein scharfes Gewürz beim Besuch in der kleinen Trattoria erleben, unbekannte Wanderrouten ausprobieren. Eine Probandin berichtete Forschenden, dass sie im Italienurlaub stets den Frisör besuche, ohne die Sprache zu beherrschen. Solche Mini-Abenteuer seien Gold wert, glauben die Urlaubspsychologen. "Es ist gut, die Komfortzone zu verlassen, ohne zu extreme Risiken einzugehen", sagt Arbeitspsychologin Syrek. Dadurch sammeln Menschen "Details", und es lässt sich auch das Danach des Urlaubs gut vorbereiten, die Rückkehr in den Alltag: Warum nicht ein Rezept aus den Ferien mitbringen und zu Hause nachkochen, eine Espressosorte aus dem Urlaubsort besorgen, Kollegen auf der Arbeit zum italienischen Moment einladen und von Erlebnissen des Urlaubs erzählen? Besonders sinnliche Details vermögen Urlaubserinnerungen erneut wachzurufen. 

Säule 5: Sinn und Bedeutsamkeit erleben 

Endlich! Nicht nur die zehnte Polonaise um den Pool, oder die Mottoparty im Robinsonclub führen zu Ferienglück: Im Urlaub führt Sinnerleben zu größerer Zufriedenheit von Reisenden. Erfahrungen von Bedeutsamkeit reduzierten Stress und senkten negative Gefühle, sie ließen nach Projektbericht der Autoren des DRAMMA-Modells generell positive Emotionen steigen. Dazu kann zählen, im Urlaub soziale Projekte zu besuchen, Kontakt zur Landesbevölkerung zu erleben oder durch verantwortungsvollen Tourismus ein prosoziales Verhalten an den Tag zu legen. Experten taufen dies "serious leisure", wenn durch bedeutsames Verhalten die erholsame Qualität der Ferien zunimmt und für beide Seiten ein Mehrwert entsteht. Viele empfinden es auch als zuträglich für die Erholung, wenn sie im Urlaub etwas lernen, beispielsweise die Landessprache, auch dies zahlt auf das Sinnerleben und die Erholung im Urlaub ein. 

Säule 6: Zusammenhalt 

Wenig überraschend: Auch in den Ferien beeinflusst die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen das Wohlbefinden. Streit und Zankerei unter Reisenden schmälert selbstredend die Erholung. Schöne Momente lassen sich mit den Mitreisenden genießen und gezielt planen. Und sie lassen sich auch als Soloreisender erleben, indem man offen ist für Zufälle und die Landsleute kennenlernt. Die Urlaubspsychologie rät zudem: Planen Sie solche geselligen Runden, sollten diese Unternehmungen eher am Ende des Urlaubes liegen, da schöne Erlebnisse gegen Ende intensiver erinnert werden. Dies ist der von Wissenschaftlern so genannte "Recency-Effekt".

Auch ein nach dem DRAMMA-Modell der Erholung zusammengesetzter Traumurlaub endet einmal, viele kennen das Phänomen, dass nach zwei Tagen im Büro jegliche Erholung verpufft ist, ja der Cortisolspiegel auf Anschlag ist. Wenn Sie die Gelegenheit haben, steigen Sie an einem Mittwoch im Beruf wieder ein, dann ist die Zeit bis zur Erholungseinheit am Wochenende kürzer. Urlaubspsychologen planen in den Ferien übrigens bereits für die Zeit daheim: Sammeln Sie aktiv Details oder Souvenirs aus dem Urlaub, die Sie für kurze Fluchten und Erinnerungsmomente zu Hause nutzen können. Alle Aspekte aus dem DRAMMA-Modell der Erholung lassen sich übrigens auch für Minipausen daheim ganz ohne offiziell beantragten Urlaub umsetzen. Je mehr Kriterien eine kurze Auszeit im (Job-)Alltag erfüllt, umso besser klappt Erholung auch im Berufsalltag als ihr täglicher Miniurlaub. 

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