DEPRESSIONEN: WIE WIR WIRKLICH HELFEN KöNNEN, WENN ANGEHöRIGE LEIDEN

Was, wenn mein Partner oder meine Schwester an einer Depression erkranken? Dann kommt es auf die richtige Erste Hilfe an. Und die kann man lernen. 

Irgendwas stimmt nicht. Eigentlich ist Marie ein so lebensfroher Mensch, sie tanzt auf jeder Party, hat immer schon das nächste Abenteuer geplant und ihr Lachen ist so herzlich, dass es jeden in ihrer Nähe ansteckt. 

Na ja, so war es jedenfalls. Jetzt ist es anders. 

Sie zieht sich immer mehr zurück, sagt Verabredungen spontan ab und ist oft zu müde, um abends noch auszugehen. Wenn sie doch auftaucht, macht sie zwar weiter ihre Späße und lacht, aber ihre Augen, unter denen sich dunkle Ringe gebildet haben, machen dabei nicht mehr mit. 

Marie hat sich verändert.

Das fällt auch ihren Freunden auf. Die machen sich Sorgen, vermuten eine depressive Phase oder andere psychische Probleme hinter dem Wandel ihrer Freundin. Trotzdem schweigen sie, selbst als Marie anfängt, vom Sterben zu sprechen. Nicht, weil sie ihr nicht helfen wollen. Nichts würden sie lieber tun als das. Aber sie wissen schlichtweg nicht, wie. 

Wie fragt man einer Freundin, wie es ihr wirklich geht, wenn die einem ins Gesicht lacht?

Wie sagt man ihr, dass sie ihr Strahlen verloren hat?

Wie spricht man an, dass man sich ernsthaft Sorgen macht?

Sensible Gesprächsführung und Selbstfürsorge

Es sind Fragen wie diese, die nahezu jeder von uns kennt. Denn die meisten von uns kennen jemanden wie Marie. Für einige von uns ist es keine Freundin, sondern Kind, Elternteil, Bruder oder Onkel, Kollege oder Partner. Jedes Jahr werden rund 2,8 Millionen Menschen allein in Deutschland mit einer psychischen Krankheit diagnostiziert – Tendenz steigend. Aber nicht nur die Betroffenen selbst leiden darunter, sondern oft auch ihre Angehörigen. Das prägende Gefühl: Hilflosigkeit. 

Gegen genau dieses Gefühl geht die Organisation "Mental Health First Aid" (MHFA) mit einem besonderen Angebot vor. Im Jahr 2000 haben die Gründer der Initiative einen Erste-Hilfe-Kurs für die Psyche ins Leben gerufen. Seit 2019 gibt es entsprechende Kurse auch in Deutschland. Bis heute haben sich weltweit rund sechs Millionen Menschen zu Ersthelfern für die Psyche ausbilden lassen. Statt der stabilen Seitenlage steht dabei etwas anderes auf dem Stundenplan: Sensible Gesprächsführung mit Menschen, die unter Suchterkrankungen, Depressionen oder Angststörungen leiden, und Selbstfürsorge. 

Ein Therapeut ist man dadurch natürlich nicht. Vielmehr geht es darum, dass Angehörige wissen, wie sie Betroffenen die Hand reichen können, ohne selbst im Karussell der psychischen Erkrankung unterzugehen. Teilnehmende lernen in mehreren Kurseinheiten in Kleingruppen also, wie sie mit Angehörigen sprechen können, wenn ihnen eine Veränderung auffällt oder sie negative Gefühle wie eine innere Leere oder gar Suizidgedanken äußern. Ziel ist es, eine Brücke zwischen den Betroffenen und der Psychotherapie zu sein, ihnen Hilfe und Perspektiven anzubieten, ohne Druck zu machen. 

Dafür haben die Initiatoren einen eigenen Gesprächsansatz entwickelt, der urheberrechtlich geschützt ist und ausschließlich im Rahmen der Ausbildung weitergegeben wird. Sie nennen es das "Roger"-Prinzip. Es basiert auf verschiedenen Kommunikations-Konzepten und psychologischer Praxis und vermittelt den Teilnehmenden vor allem eine einfühlsame und konstruktive Grundhaltung Betroffenen gegenüber. 

Wie man Erste Hilfe bei Depressionen lernt

Geführt wird ein Kurs immer von einem Psychologen, der auch Basiswissen über gängige psychische Erkrankungen sowie Methoden zur Selbstfürsorge für die Angehörigen vermittelt. Eine Kernbotschaft: Auch, wenn wir unseren Liebsten helfen wollen, dürfen wir uns selbst dabei nicht vergessen. Grundsätzlich gehen die Kursleiter sehr sensibel mit den Teilnehmenden um – die Kamera muss bei dem Online-Kurs immer angeschaltet sein, damit sie im Blick haben, dass es bei den teilweise emotional schwierigen Themen auch allen gut geht. Es gibt auch ein Angebot vor Ort. Wer sich doch mal getriggert fühlt, kann sich in beiden Fällen eine kurze Auszeit nehmen. 

Teilnehmen darf grundsätzlich jeder, der sich nicht gerade selbst in einer kritischen psychischen Phase befindet. Überwiegens nutzen bislang allerdings Frauen das Angebot und Menschen, die im beruflichen Kontext mit entsprechenden Symptomen in Verbindung kommen. Dabei wächst der Bedarf an Menschen, die wissen, wie man mit psychischen Krisen umgehen kann, stetig. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen steigen die Betroffenenzahlen seit der Pandemie immer weiter an, während die Therapieplätze knapp sind. Und es kann jeden treffen. Umso mehr sind wir darauf angewiesen, dass wir in unserem privaten Umfeld im Zweifel Halt finden, wenn wir ihn in uns selbst mal verlieren. 

Apropos, zurück zu Marie. Nehmen wir einmal an, Maries Freunde hätten den Kurs zum Ersthelfer für die Psyche absolviert. Dann hätten sie sich einen ruhigen Ort gesucht und das Gespräch mit ihr gesucht, sie ehrlich und ergebnisoffen gefragt, wie es ihr geht. Ihr im Gespräch gespiegelt, was sie sagt und wie sie wirkt, und dass sie sich Sorgen machen. Sie hätten ihr keinen Druck gemacht, sich helfen zu lassen, sondern lediglich sachlich darüber informiert, was man gegen Depressionen tun kann – und welche Anlaufstellen es gibt. Und schließlich hätten sie ihr gezeigt, dass sie für sie da sind, ohne Erwartungen oder Vorurteile, ihr aufgezeigt, welche Ressourcen sie außerdem hat, um gegen die psychische Erkrankung vorzugehen. 

Ja, sie hätten ihr liebevoll die Hand gereicht. Weil sie gewusst hätten, was zu tun und zu sagen ist. Und ihr dadurch vielleicht geholfen, ihr Strahlen wiederzufinden. 

Quelle: MHFA

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