Ein sehr kleiner Teil der Corona-Geimpften leidet unter Nebenwirkungen, teils sogar unter bleibenden Schäden. Welche Hürden es für Betroffene vor Gericht gibt und welche Bedeutung das Astrazeneca-Eingeständnis hat, weiß Medizinrechtsanwalt Lutz Böttger.
Rund 65 Millionen Menschen in Deutschland sind gegen Covid-19 geimpft worden. Ein sehr kleiner Teil berichtet von schweren, teils bleibenden Schäden. Einige von ihnen ziehen vor Gericht – und sehen sich mit enormen Hürden konfrontiert.
„Das betrifft sowohl Ansprüche gegen den Impfstoffhersteller wie auch gegen den Staat“, erklärt Medizinrechtsanwalt Lutz Böttger im Gespräch mit FOCUS online. „Beide scheitern meist schon am Kausalitätsnachweis“, so Böttger. Bedeutet: Dem Nachweis, dass der Schaden nachweislich auf die Impfung zurückzuführen ist. Böttger vertritt einige Mandanten in entsprechenden Verfahren vor Gericht. „Im Kurz-Gutachten heißt es dann oft, der Schaden sei 'nicht überwiegend wahrscheinlich auf die Impfung zurückzuführen'“, so der Anwalt. Die Klage damit abgeschmettert.
Entschädigung wegen Impfschäden – diese zwei Wege gibt es:
Ein Impfstoffhersteller haftet nur dann, wenn die Nebenwirkungen insgesamt den Nutzen des Medikaments übersteigen – „sie also ein negatives Nutzen-Risiko-Profil aufweisen“, so der Anwalt. Eine große Hürde, denn Gerichte würden sich in der Regel auf die Zulassungsverfahren berufen, in denen Medikamente wie auch Vakzine genau solchen Nutzen-Risiko-Abwägungen standhalten müssen.
Die zweite Voraussetzung für eine Haftung wäre, wenn beispielsweise in der Packungsbeilage des Medikaments nicht ausreichend auf mögliche Folgeschäden hingewiesen wurde. „Doch dafür bräuchte es Einsicht in die Zulassungsverfahren, um diese dann mit den Informationen in den Packungsbeilagen abgleichen zu können“, so Böttger. Man müsste entsprechend zunächst auf Herausgabe beziehungsweise Einsicht klagen.
Böttgers Fazit: „Insofern sind die Erfolgsaussichten derzeit tatsächlich sehr, sehr gering.“
Meist würde der Kausalitätsnachweis auch daran scheitern, dass es keine Studien gebe, die „eine kausale Verknüpfung“ nahelegen, so Böttger. Das könnte sich nun mit dem Astrazeneca-Eingeständnis ändern.
Das Astrazeneca-Eingeständnis: Der britische Pharmariese hatte Anwälten zunächst im Mai 2023 mitgeteilt, nicht anzuerkennen, dass TTS „generell“ durch den Impfstoff ausgelöst werden könne, so „ The Telegraph “. In einem neuen Gerichtsdokument, das nun an die Öffentlichkeit kam, räumte das Pharmaunternehmen hingegen ein, „dass der AZ-Impfstoff in sehr seltenen Fällen TTS verursachen kann“.
Das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) beschreibt schwere, lebensbedrohliche und auch tödliche Thrombosen mit gleichzeitiger Thrombozytopenie (= verminderte Zahl von Blutplättchen).
Was das bedeutet: „Das Einräumen von Astrazeneca bedeutet sicherlich einen Fortschritt für die Geschädigten, auch in Deutschland“, so Böttger. „Denn Astrazeneca wird eine entsprechende Verlautbarung nicht getätigt haben, wenn es keine entsprechende Studienlage dazu gäbe.“ Der Anwalt resümiert: "Es kommt immer auf den Einzelfall an, aber es erhöht natürlich die Chance einer Klage – wenn Betroffene mit Astrazeneca geimpft worden sind und genau diese Nebenwirkung auftrat.“
Was der Anwalt Betroffenen rät: Für Geschädigte, die mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft wurden, hält er es für sinnvoll, Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. „Bei Nebenwirkungen nach einer Impfung mit anderen Vakzinen halte ich die Erfolgsaussichten einer Klage weiterhin für gering.“
Was viele Kläger nicht wissen: Auch bei einer erfolgreichen Klage gegen ein Pharma-Unternehmen wie Astrazeneca zahlt nicht das Unternehmen, sondern der Staat beziehungsweise Steuerzahler. Nach der Eilentwicklung der Impfstoffe war während der Impfstoffbeschaffung durch die EU-Staaten vereinbart worden, die Hersteller vor Klagen gegen Impfschäden zu schützen. Laut Gesetz gehen Entschädigungs- und Prozesskosten in solchen Fällen daher auf die EU-Mitgliedstaaten über.
Ausnahmen gelten gemäß einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs nur, wenn Schäden „vorsätzlich, durch grobe Fahrlässigkeit oder Nichteinhaltung der in der EU geltenden guten Herstellungspraxis“ verursacht wurden.
Neben Zivilverfahren vor Gerichten gibt es noch einen zweiten Weg, eine Entschädigung zu beantragen: direkt über den Staat. Dabei geht es um Versorgungsleistungen, nicht um Schmerzensgeld oder Schadenersatz. Zur Versorgung zählen etwa Rentenzahlungen je nach Schwere des Gesundheitsschadens, Heilbehandlungen oder Hinterbliebenenversorgung.
Grundsätzlich gilt: Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erleidet, hat Anspruch auf eine Entschädigung. Das ist im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich geregelt. Zur Unterscheidung:
So funktioniert der Antrag: Liegt ein Impfschaden vor, können Betroffene einen „Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens“ und anschließend einen „Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz“ beim Versorgungsamt des jeweiligen Bundeslandes stellen. Konkret sind das folgende:
Baden-Württemberg
Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Freie und Hansestadt Hamburg Sozialbehörde – Amt für Familie
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern (LAGuS)
Niedersachsen
Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie (LS)
Nordrhein-Westfalen
Landschaftsverband Rheinland (LVR ) bzw. Amt für Soziales Entschädigungsrecht Westfalen-Lippe (LWL)
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Dabei werden wie auch bei Zivilklagen medizinische Unterlagen von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen angefordert. Das Amt entscheidet dann, ob ein Anspruch besteht. Wird ein Antrag abgelehnt, können Betroffene vor ein Sozialgericht ziehen. Hinweis: Das Gesundheitsamt kann Hilfe bei der Einleitung des Entschädigungsverfahrens anbieten. RKI und PEI sind nicht zuständig.
Diese Impfschäden wurden bereits anerkannt: Bislang wurden überwiegend Herzmuskelentzündung, Sinusvenenthrombosen und das Guillain-Barré-Syndrom anerkannt. Vereinzelt auch Todesfälle.
Höhe der Entschädigungszahlung: Wie hoch eine Entschädigungszahlung ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Die Höhe ist abhängig vom individuellen Ausmaß der Schädigung und deren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Laut eines Berichts der „Welt am Sonntag“ steht Betroffenen ab einem gewissen Schädigungsgrad eine lebenslange Grundrente zwischen 164 und 854 Euro monatlich zu. Dazu übernimmt der Staat, wenn nötig, die Behandlungskosten und zahlt einen Berufsschadensausgleich.
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