ALZHEIMER: KEINE ZULASSUNG FüR THERAPIE – VERLIERT EUROPA DEN ANSCHLUSS?

In der EU ist noch keine Alzheimer-Therapie zugelassen, anders als in den USA. Doch Patienten in Europa dürfen hoffen. Auch wegen der Abnehmspritze.

Vor 118 Jahren beschrieb der Nervenarzt Alois Alzheimer eine „eigenartige Krankheit der Gehirnrinde“ seiner verstorbenen Patientin Auguste Deter. Und noch immer gibt es kein Mittel, das die tödliche Krankheit zurückdrängt oder gar heilt, die nach ihrem Entdecker benannt wurde: Alzheimer.

Die vergleichsweise häufig auftretende Form der Demenz führt zu einem Abbau der Nervenzellen im Gehirn, dadurch zu Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, bis hin zu Veränderungen der Persönlichkeit.

In den USA und vielen weiteren Ländern sind zwei Behandlungen auf dem Markt, die verlangsamen, dass die Krankheit fortschreitet – in der Europäischen Union (EU) aber ist eine dieser Therapien in diesem Sommer nicht zugelassen worden. Die Chance, dass die zweite Therapie mit vergleichbarem Wirkansatz die Zulassung schafft, wird von Experten nun als deutlich geringer eingeschätzt.

Zum jährlichen Welt-Alzheimertag an diesem Samstag fürchten Experten in Deutschland deshalb um die Perspektiven für die Patienten und die Forschung in Europa.

Rund eine Million Alzheimer-Erkrankungen in Deutschland

Nicht zugelassen worden ist der Wirkstoff Lecanemab der Unternehmen Eisai und Biogen. In den USA oder Japan würden jetzt hingegen „wichtige praktische und wissenschaftliche Erfahrungen mit der Lecanemab-Behandlung gesammelt“, sagt Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). „Ich habe die Sorge, dass wir von weiteren Forschungen und Fortschritten abgeschnitten werden, sowohl wir als Forscher als auch die Patientinnen und Patienten.“

Auch Stephan Schilling, Leiter der Abteilung für Wirkstoffbiochemie und Therapieentwicklung am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Halle, sieht das Problem, dass Europa bei der Alzheimer-Therapie zumindest eine Zeit lang zurückgeworfen werden könnte. „Patienten, bei denen der Wirkstoff eine gute Wirkung hätte zeigen können, werden nun nicht behandelt“, sagt er.

Weltweit leiden nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation mehr als 35 Millionen Menschen an der Alzheimer-Erkrankung, rund eine Million davon in Deutschland.

Betroffen sind vor allem Frauen, die älter als 75 Jahre sind. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Alzheimer-Todesfälle fast verdoppelt, heißt es vom Statistischen Bundesamt: 2023 waren es mehr als 10.100 Menschen. Und die Zahl dürfte wegen der Alterung der Gesellschaft in den nächsten Jahren weiter steigen. Doch was passiert bei Erkrankten genau – und wie sehen Therapieansätze aus?

Zwei Wirkstoffe – für einen keine Zulassung in der EU

Im Gehirn von Alzheimer-Kranken treten Eiweißablagerungen auf, sogenannte Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen. Das in der EU nicht zugelassene Mittel Lecanemab (Handelsname Leqembi) ist ein Antikörper-Wirkstoff. Es dockt an diese Beta-Amyloid-Proteine an und hilft dem Körper so, diese Ablagerungen abzubauen.

Noch offen ist, ob der Wirkstoff Donanemab vom US-Konzern Eli Lilly in der EU zugelassen wird. Das wird derzeit geprüft. Donanemab funktioniert ähnlich wie Lecanemab.

Klinische Studien hatten gezeigt, dass die Therapie mit Donanemab die Verschlechterung des Erkrankungszustands sogar um 35 Prozent verlangsamt, allerdings gab es deutlich mehr Nebenwirkungen. Knapp 37 Prozent der Probandinnen und Probanden waren von Hirnschwellungen und Hirnblutungen betroffen, in einigen Fällen mit einem schwerwiegenden Verlauf.

Das Gehirn der Alzheimer-Patienten muss bei den Antikörper-Therapien engmaschig überwacht werden. Dafür sind Positronen-Emissions-Tomografien (PET) nötig. Das ist ein Verfahren, mit dem unter anderem Stoffwechselaktivitäten dargestellt werden können. PET sind aber teuer. Experten veranschlagen für die jährliche Behandlung eines Alzheimer-Patienten Kosten von insgesamt 150.000 bis 200.000 Euro.

Dass der Ausschuss der EU-Arzneimittelagentur Ema Lecanemab nicht zugelassen hat, könnte auch an den Kosten liegen, vermuten Experten. Lecanemab-Hersteller Eisai hat allerdings eine erneute Prüfung der Entscheidung bei der Ema beantragt.

Linda Thienpont, stellvertretende Geschäftsführerin der Alzheimer Forschung Initiative, hält es für eine Option, dass der Antikörper-Wirkstoff wie gerade in Großbritannien auch in der EU noch unter strengen Auflagen nur für bestimmte Patientengruppen zugelassen wird. „Patienten, die etwa Blutverdünner nehmen, könnten wegen eines erhöhten Hirnblutungsrisikos ausgeschlossen werden“, sagt sie.

Und ebenso Patienten mit anderen Risikofaktoren. „Wir müssen noch mehr darüber erfahren, wer von den Wirkstoffen profitiert und für wen eine Behandlung eher nicht geeignet ist“, sagt sie.

Alzheimer-Wirkstoff Donanemab: Zulassung noch offen

Wann die Ema über eine Zulassung des Antikörpers Donanemab entscheidet, ist hingegen noch nicht klar. Eli-Lilly-Chef Dave Ricks hatte im April gesagt, dass er von einer Entscheidung bis zum Jahresende ausgeht.

Eli Lilly teilte mit, dass es trotz der Entscheidung gegen Lecanemab nach wie vor vom positiven Nutzen-Risiko-Profil von Amyloid-Therapien zur Behandlung der frühen symptomatischen Alzheimer-Krankheit sowie von der klinischen Bedeutung und dem Wert von Donanemab für Patienten überzeugt sei.

Neue Antikörper sind aus Forschersicht ein Erfolg

Auch wenn die beiden Antikörper Lecanemab und Donanemab bislang nur im frühen Krankheitsstadium eingesetzt werden und die Wirksamkeit begrenzt ist – für die Forschung sind sie insofern ein Erfolg, als dass sie die ersten Wirkstoffe sind, die an einer der potenziellen Ursachen der Alzheimer-Krankheit ansetzen.

„Die Alzheimer-Krankheit ist sehr komplex, und es sind mehrere Ursachen an der Entstehung beteiligt. Wir werden die Erkrankung vermutlich nicht mit einem einzigen Wirkstoff heilen können“, sagt Thienpont.

Dieser Ansicht ist auch Wirkstoffexperte Schilling vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. „Am Ende werden verschiedene Kombinationstherapien gebraucht werden, die individuell an unterschiedlichen Krankheitsmechanismen ansetzen“, sagt er.

Eine Impfung gegen Alzheimer wird in der Schweiz erforscht

An Forschungsansätzen dazu mangelt es jedenfalls nicht. Aktuell werden weltweit 127 Wirkstoffe gegen die Alzheimer-Erkrankung in mehr als 160 klinischen Studien erforscht. Längst nicht alle haben dabei die Proteinablagerungen im Gehirn als Ziel, manche Moleküle zielen auch darauf ab, den Gesundheitszustand der Alzheimer-Patienten insgesamt zu verbessern, indem beispielsweise der Stoffwechsel im Gehirn unterstützt wird.

Zu den besonders interessanten Wirkstoffkandidaten gehört nach Einschätzung von Schilling eine aktive Immuntherapie gegen das Beta-Amyloid, die das Schweizer Unternehmen AC Immune entwickelt hat. Aktiv bedeutet, dass den Patienten ein Wirkstoff gespritzt wird, der wie eine Impfung funktioniert. Der Körper wird angeregt, Antikörper zu produzieren gegen die Formen von Amyloid-Beta, von denen angenommen wird, dass sie die Eiweißablagerungen und das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit fördern.

„AC Immune hat hier wirklich eine Vorreiterrolle inne. Das Unternehmen hat derzeit die einzige aktive Immuntherapie in der fortgeschrittenen Erprobung. Sie hat in ersten Studien schon gezeigt, dass sie im frühen Stadium den Krankheitsfortschritt verlangsamen kann“, sagt Schilling.

Die US-Zulassungsbehörde hat diesem Ansatz im vergangenen Jahr den sogenannten Fast-Track-Status zuerkannt, was für ein beschleunigtes klinisches Prüfungsverfahren sorgt. Im Mai dieses Jahres hatte AC Immune eine im Erfolgsfall milliardenschwere Kooperation mit dem japanischen Pharmakonzern Takeda geschlossen, um die klinischen Studien in Phase drei voranzutreiben – der letzten Phase, bevor ein Zulassungsantrag gestellt werden kann.

Wenn alles läuft wie geplant, könnte die Impfung bis 2030 zugelassen werden, heißt es bei AC Immune.

Die Abnehmspritze könnte eine positive Wirkung auf das Gehirn von Alzheimer-Patienten haben

Und auch der Wirkstoff Semaglutid von der dänischen Firma Novo Nordisk, der als Diabetes- und Diätspritze unter dem Namen Ozempic und Wegovy weltweit gefragt ist, könnte eine positive Wirkung für Alzheimer-Patienten entfalten. Das Mittel ahmt das Darmhormon GLP1 nach, das bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels eine entscheidende Rolle spielt.

„Bei Alzheimer-Patienten verlieren die Gehirnzellen ihre Empfindlichkeit für Insulin. Dadurch können die Zellen weniger Glukose, also Zucker, aufnehmen, was zu einem Energiemangel führt“, sagt Schilling.

Semaglutid könnte die Zellen revitalisieren und damit auch wichtige Enzyme aktivieren, die für einen Abbau der schädlichen Amyloid-Plaques sorgen, so die Vermutung, sagt er. Ob und wie gut Semaglutid wirkt, müssen erst noch die Ergebnisse einer aktuell laufenden Phase-3-Studie von Novo Nordisk zeigen. Diese werden 2026 erwartet.

„Würde Semaglutid eine Verlangsamung der Alzheimer-Erkrankung bewirken, könnte das Mittel sofort zum Einsatz kommen und vermutlich eine gute Kombination zu den Antikörper-Therapien bilden“, sagt Wirkstoffexperte Schilling.

Erstpublikation: 18.09.2024, 09:54 Uhr.

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