AUCH MIT DEM GESüNDESTEN LEBENSSTIL WIRD DER MENSCH NIEMALS 150 JAHRE ALT

Wie alt können wir Menschen maximal werden? Die Rekordhalterin ist die Französin Jeanne Calment, die 122 Jahre und 164 Tage lebte. Visionäre Mitmenschen träumen davon, den Champion in Sachen extrem langes Leben, den Grönlandwal, zu erreichen. Das älteste bekannte Exemplar wurde 211 Jahre alt. Können wir tatsächlich noch ein paar Jahrzehnte dranhängen, vielleicht indem wir grösser und schwerer werden?

Der Altersforscher Steve Horvath verpasst diesen Träumen einen heftigen Dämpfer. «Die maximale Lebensspanne einer Spezies und damit auch des Menschen ist biologisch festgelegt», sagt er. Seine Forschergruppe von der University of California in Los Angeles (UCLA) hat jetzt Daten dazu in der Fachzeitschrift «Science Advances» publiziert.

Epigenetische Muster liefern Informationen

Das Team hat dafür das Erbgut von 348 Säugetierarten inklusive desjenigen des Menschen analysiert. Die Information über die maximale Lebensspanne versteckt sich in der Verpackung der Gene. Der lange Faden aus Milliarden DNA-Bausteinen wird aufgerollt wie auf Spulen und teilweise fest verschnürt im Zellkern aufbewahrt.

Im Laufe des Lebens werden kleine molekulare Anhängsel an diesen Faden angebracht oder auch bestehende entfernt. Das Muster aus Anhängseln wird im Fachjargon als epigenetisches Muster bezeichnet.

Das UCLA-Team hat nun in seiner Publikation gezeigt, dass ein bestimmtes epigenetisches Muster jeweils die maximale Lebensspanne einer Säugetierart vorhersagt. Zudem haben die Forscher herausgefunden, dass bei 17 Säugetierarten, darunter auch uns Menschen, Frauen dank ihren epigenetischen Mustern ein höheres Maximalalter aufweisen.

Modell ist nicht so treffsicher wie gewünscht

Vergleicht man allerdings das neue Rechenmodell mit den dokumentierten Lebensspannen, dann zeigt sich schnell, dass es nicht akkurat ist. So gesteht es dem Menschen ein maximales Alter von «nur» 98 Jahren zu. Doch wir wissen, dass es jedes Jahr weltweit zahlreiche Menschen gibt, die älter als hundert werden.

Horvath erklärt das folgendermassen: «Unser Modell beruht auf der statistischen Auswertung von DNA-Proben. Wie immer bei solchen komplizierten Vorhersagemodellen sind diese umso besser, je mehr Daten verfügbar sind. Doch es existieren nicht viele Säugetiere, die älter als hundert Jahre werden. In unserer Probensammlung waren das genau drei Spezies: der Mensch, der Blauwal und der Grönlandwal.» Man habe daher erwartet, dass die Vorhersagen für sehr langlebige Spezies nicht exakt ausfallen würden. Sehr gute Angaben liefert das neue Modell dagegen für Tiere, die zwanzig bis fünfzig Jahre leben.

Ähnlich alt wie wir können übrigens Buckelwale (95 Jahre), asiatische Elefanten (88 Jahre) oder Orcas (80) werden. Besonders kurzlebig sind Hamster, Mäuse und Ratten, sie werden je nach Art nur maximal zwei bis vier Jahre alt.

Die Tatsache, dass bei allen Säugetieren jeweils anhand eines epigenetischen Musters Aussagen über die maximale Lebensspanne gemacht werden können und diese Methode dabei sehr gute bis gute Ergebnisse liefert, zeigt laut Horvath, dass sie verlässlich ist. Und dass somit für Menschen keine 200 Jahre möglich sind.

Ein weiteres Argument dafür ist die Beobachtung, dass Versuchstiere durch Veränderung des Lebensstils wie kalorienarmes Essen oder körperliche Aktivität nie die maximale Lebensspanne überschritten. Sprich: Mäuse lebten auch mit einem als supergesund geltenden Lebensstil nicht länger, als es biologisch für ihre Spezies im Erbgut festgeschrieben war. Das Höchstalter eines Säugetiers sei biologisch in Stein gemeisselt, meint das Team aus Kalifornien überzeugt. Das gelte auch für den Menschen.

Nur die individuelle innere Uhr lässt sich beeinflussen

Das bedeutet allerdings nicht, dass jede und jeder Einzelne nicht doch etwas für die eigene Lebensverlängerung tun kann. Das biologisch festgeschriebene Maximalalter ist nämlich das Optimum, das ein Individuum unter Idealbedingungen erreichen kann. Doch erfahrungsgemäss verläuft das Leben selten optimal, es gibt Unfälle oder Krankheiten und kalorienreiche Versuchungen. Bei Versuchstieren haben Änderungen hin zu einem gesünderen Lebensstil das Leben dieser Tiere im Vergleich zu Kontrolltieren verlängert.

Diese Beobachtungen spiegeln sich auch auf der molekularen Ebene. So wurde festgestellt, dass bei den gesund lebenden Mäusen ihre individuelle Lebensuhr langsamer tickte als bei den Kontrolltieren. Damit steigt die Chance, das Höchstalter zu erreichen.

Auch beim Menschen lässt der Lebensstil die innere Uhr schneller oder langsamer laufen. Horvath hat das am eigenen Leib ausgetestet. Er hat für einen gewissen Zeitraum einen Cocktail aus Hormonen, Mineralstoffen und Medikamenten, die in den Insulinstoffwechsel eingreifen, eingenommen. Zudem hat er auf Süssigkeiten verzichtet und macht nun regelmässig Sport. Seine innere Uhr zeigte das erhoffte Ergebnis: Sein Körper ist nun etwas jünger, als das Geburtsdatum angibt.

Die Fachwelt geht derzeit davon aus, dass jemand dauerhaft gesund leben muss, um dem Höchstalter so nah als möglich zu kommen. Völlig unklar ist derzeit, welche Substanzen uns denn nun wirklich helfen, langsamer zu altern. Diesbezüglich laufen zahlreiche Studien.

Doch unabhängig davon, wie wir unsere innere Uhr beeinflussen können, bleibt die Frage: Was ist das Geheimnis des langen Lebens? Warum sind gerade einige Walarten so langlebig und eben auch wir Menschen, nicht aber Löwen, Kängurus oder Hamster?

«Ich bin sicher, das liegt daran, dass die langlebigen Arten in ihren Zellen eine bessere Maschine für die Organisation der Anhängsel an der DNA besitzen», sagt Horvath. Offenbar arbeite die Maschine, die für die epigenetischen Muster zuständig ist, bei den langlebigen Säugetierarten sorgfältiger.

Eine der Ursachen für die Geschwindigkeit, mit der die innere Uhr tickt, könnte die Dauer der Entwicklung einer Tierspezies vor der Geburt sein. Denn bei den langlebigeren Tierarten – die auch alle sehr gross sind – dauert die Schwangerschaft beziehungsweise Tragzeit länger.

Bei kleinen Nagetieren sind es ungefähr drei Wochen, bei Löwen knapp vier Monate. Beim Menschen hingegen braucht es neun Monate, bis der Nachwuchs parat für die Welt ist, bei den Walen sogar bis zu sechzehn.

Die gesamte vorgeburtliche Entwicklung und die während dieser Zeit eintretenden epigenetischen Veränderungen verlaufen bei den langlebigen Tierarten langsamer und bei den kurzlebigen Tieren im Zeitraffer. Somit sterben kleine Nagetiere nach der Geburt vergleichsweise bald, während wir und der Grönlandwal mehr Zeit haben, bis wir sterben müssen.

Schon während der Schwangerschaft beeinflussen die Umweltbedingungen, unter denen die Mutter lebt, und auch deren Lebensstil die Ausgestaltung der epigenetischen Muster. Zudem ist dieser Prozess auch genetisch bedingt. Allerdings kann noch kein Expertenteam genau sagen, welche Gene die Taktgeber sind und über die Muster entscheiden.

Das bedeutet, dass schon bei der Geburt zu einem gewissen Teil festgelegt ist, wie gut ein Individuum ausgestattet ist für den Lauf zum Höchstalter. Unklar ist, ob Gene und Umweltfaktoren gleich wichtig sind. Oder ob ein Faktor den anderen dominiert. Klar ist, nicht jede Sünde muss zwangsläufig das Leben verkürzen. Schliesslich hat auch die Französin Jeanne Calment, einst ältester Mensch der Welt, fast ein Jahrhundert lang geraucht.

Wäre sie als Nichtraucherin sogar noch etwas älter geworden? Vielleicht gab es in ihren Zellen einen äusserst aktiven Reparaturmechanismus, der all die schädlichen Altersprozesse, ausgelöst durch die vielen Zigaretten, umgehend ausgebessert hat. Oder tickte ihre innere Uhr einfach so gemächlich, dass kein Gift das Uhrwerk beschleunigen konnte? Wenn wir das nur wüssten, dann könnten wir vielleicht mit ein paar Tricks unsere eigene Lebensuhr verlangsamen.

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